Grübeleien / Thoughts

Flüchtlingskrisen und persönliche Krisen

Kürzlich habe ich etwas für das Debattenmagazin „The European“ geschrieben. Einen Beitrag „pro Flüchtlingshilfe“, hatte die Redaktion gebeten. Es ist ein mehr emotionaler als rationaler Kommentar geworden, denn anders kann man kaum für die Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge in Deutschland argumentieren. Das sei ja schön und gut, was ich da über Menschlichkeit geschrieben hätte, textete mir sogleich ein Freund, aber…! Und dieses Aber ist, wie viele andere Abers, berechtigt.

Was hier gerade geschieht, setzt meinen Verstand außer Kraft

Trotzdem befinden wir uns gerade in einer Ausnahmesituation, in der Abers den Menschen, die in diesem Moment hier in Deutschland ankommen, nicht das Dach über dem Kopf ersetzen. Die Frage ist nur, wie lange diese Ausnahmesituation andauern kann und soll, und wann sie zum Dauerzustand wird. Was hier – und in den Krisenländern – gerade geschieht, sprengt meine Vorstellungskraft – trotz all der Bilder, die täglich im Internet auf mich einprasseln. Und es setzt meine Vernunft außer Kraft, so dass ich mich nicht mehr in der Lage sehe, zu entscheiden, was richtig und was falsch ist. Befürwortet man die deutsche Flüchtlingspolitik, muss man wirtschaftliche Faktoren und die Probleme einer Integration ausblenden; spricht man sich dagegen aus, muss man jegliche Emotionen abschalten. Man kann entweder rationaler Hardliner oder naiver Gefühlsdusel sein. Beides ist unbefriedigend.

Die emotionale Zwickmühle

Es fühlt sich pervers an, tagtäglich in der Bibliothek an seiner Dissertation zu sitzen oder über den letzten Urlaub zu bloggen, während zehn Minuten von hier entfernt in Scharen Flüchtlinge aus aller Herren Länder eintreffen, die nichts haben. Man will helfen – und setzt sich doch wieder nur an den Schreibtisch, im ewig gleichen Trott. Beobachtet alles aus der Ferne des Internets. Setzt hier ein Like für die Aktion „Welcome Blue Bag“, da ein Like für die „Herzlichen Haareschneider Hamburg“. Und weiß, dass man eigentlich mehr tun könnte.
Die derzeitige Situation ist eine emotionale Zwickmühle: Man will so viel helfen wie möglich und hat gleichzeitig Angst, dafür Eigenes zu vernachlässigen. Und was der Einzelne denkt, das gilt auch im Großen: Deutschland will Hunderttausende aufnehmen, und dabei schwingt immer die Angst vor dem schieren Ausmaß der Flüchtlingskatastrophe und deren Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft mit.

Wieviel kann man, wieviel will man tun?

Als ich mich vor vier Wochen für die Flüchtlingshilfe registrieren lassen habe, musste ich erstmal zu einem Beratungsgespräch bei der Caritas. Endlich etwas zu tun und Einsatz zu zeigen, müsste sich gut anfühlen, dachte ich. Stattdessen schämte ich mich, als die nette Dame mich fragte, wieviel Zeit ich hätte und investieren könne. Denn eigentlich ist die Frage doch nicht, wieviel Zeit man hat, sondern wieviel Zeit man zu investieren bereit ist. Der Beitrag, den ich zu leisten gedachte, kam mir auf einmal lächerlich vor. Tat ich das nur für mein schlechtes Gewissen, fragte ich mich? Könnte ich nicht viel mehr tun? Aber die Frau von der Caritas gab klare Anweisungen: Man solle realistisch einschätzen, wann und wie oft man neben dem Job helfen könne. Man müsse aus Solidarität nicht sein eigenes Leben aufgeben. Man solle sich selber Grenzen setzen und sich nicht (emotional und physisch) überfordern. Und eben diese Grenzen muss auch Deutschland als Staat wohl erst ausloten. Wie groß der Abgrund zwischen Wollen und Können ist, wird die Zukunft zeigen.

1 Kommentar

  1. Du hast das Dilemma gut erfasst, wie ich finde. Doch die furchtbare Ungerechtigkeit, dass man in seinem gemütlichen Büro sitzt, während wenig entfernt Menschen um ihre Existenz kämpfen, wird nur wenige, und selbst davon die meisten nur für kurze Zeit, stören. Oder besser: „behelligen“. Der Mensch gewöhnt sich leider, wohl auch aus Selbstschutz, schnell an solche Bilder und Vorstellungen. Denn schon vor der gewaltigen Zunahme der Flüchtlingszahlen gab es Menschen, die auf der Flucht waren, gab es Obdachlose und hoffnungslos Verarmte. Doch die scheinen irgendwann einfach dazu zu gehören.

    Als mich meine Dorfverwandtschaft während meines Auslandssemesters in Italien besucht hat, war meine junge Nichte vollkommen verstört von den dünnen, schwarz gekleideten Frauen, die mit ihren kleinen Jesusbildchen auf den Bürgersteigen lagen und bettelten. Für die meisten Touristen und Anwohner hingegen gehörten sie schon zum Stadtbild dazu.

    Man kann also nur hoffen, dass möglichst viele deinem Beispiel folgen und entweder selbst helfen, oder zumindest Anteil nehmen, damit diese Situation nicht zu einem Normalfall wird, an den man sich irgendwann eben gewöhnt.

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