Reisen / Travel

Teheran: Zwischen Schah-Palästen und Khomeni-Propaganda

Die iranische Landeshauptstadt Teheran hat über 10 Millionen Einwohner, und die Spitzen des Elburs-Gebirges sind an den meisten Tagen nur hinter einem bräunlichen Smogschleier zu erahnen. Dennoch wirkt die Metropole, im Gegensatz zu anderen orientalischen Städten, erstaunlich geordnet und vor allem sauber. Lange Staus morgens und abends machen das Fortkommen innerhalb der Stadt mit dem Auto trotzdem mühselig.

Iran’s capital has more than 10 million inhabitants, the main roads are congested in the mornings and evenings, and the Elburz mountains north of the city are hidden behind a brownish layer of smog. Nonetheless, Teheran gives a quite organised and clean impression.

(Blick auf die Stadt mit dem sechshöchsten Fernsehturm der Welt (Borj-e Milad) und das Elburs-Gebirge von unserem Hotel aus./ Teheran, Elburz mountains, and the Borj-e Milad (sixth tallest TV tower in the world) – view from our hotel.)

Der Norden Teherans ist, so unser Guide Ali, der teurere und aufgeklärtere Stadtteil. Dort sieht man Frauen seltener im Tschador, dem bodenlangen schwarzen Umhang, als in farbenfrohen und schick-taillierten Mänteln, mit weit zurückgerutschtem Kopftuch, das viel Haar zeigt. Aus der Stadt heraus führen Straßen Richtung Berge, in eine Art Unterhaltungsviertel. Straßenstände und Fressbuden, aber auch schickere Restaurants und Shishabars sind dort aneinandergereiht; man kann Karussellfahren oder Bungeejumping machen – Letzteres ist allerdings nur für Männer erlaubt (weil bei Frauen das Kopftuch verrutschen könnte? Oder weil das „schwache Geschlecht“ so etwas sowieso nicht verträgt? Die Antwort konnten wir nicht in Erfahrung bringen). Vor allem aber kann man am Berg im Dunkeln Händchenhalten oder heimlich im Sessellift knutschen. Grüppchen von kichernden Teenagermädchen kamen uns dort entgegen, und johlende Jungs.

The northern part of Teheran is, according to our guide Ali, the more expensive, modern, and westernised one. In this area, women rather wear colourful stylish coats than the traditional floor-length black chador, and their headscarves leave a lot of hair visible. Roads lead up into the mountains to a kind of entertainment district with little shops selling street food, but there are also posher restaurants and shisha bars. You can have a ride on the merry-go-round, or do bungeejumping – the latter is only allowed to men though (maybe because a woman’s headscarf could fall off? Or because “the weak sex” is not made for such fun? We couldn’t find the answer to this.) Most importantly, in the dark mountains couples can hold hands or kiss in the chair lift. We passed groups of giggling teenage girls and cheering boys there.

In unseren drei Tagen in Teheran haben wir ausschließlich Museen und Schah-Paläste besichtigt. Überladene Spiegelsäle, diamantbesetzte Tabakdöschen und die im Keller der Nationalbank ausgestellten Kronjuwelen lassen erahnen, warum die Prunksucht des letzten Schahs Mohammed Reza Pahlavi den Hass des Volkes auf sich zog. Der Schah sah sich in der Nachfolge der persischen Könige, die einmal sein Land und weit mehr regiert hatten, und er feierte das 2500jährige Jubiläum der Achämeniden-Dynastie in Persepolis mit Hunderten von Ehrengästen, mit Aristokraten, Politikern und Reportern aus der ganzen Welt. In Europa verfolgte man das Leben des „Märchenkönigs“ und seiner drei wechselnden Ehefrauen mit voyeuristischer Neugier. Für die USA war der Schah ein wichtiger Verbündeter, garantierte der Iran doch den Zugang zu großen Erdölvorkommen und bot einen strategisch wichtigen Stützpunkt im Nahen Osten.

During the first three days of our trip in Teheran we only visited museums and shah palaces. Giant halls of mirrors, bejewelled tobacco boxes, and the crown jewels which are kept and displayed in the underground of the national bank made us understand why the last shah, Mohammed Reza Pahlavi, became infamous for his luxury life. He saw himself as the descendant of the ancient Persian kings and celebrated the 2500 anniversary of the Achaemenid dynasty with hundreds of international guests, aristocrats, politicians, and journalists. Europe watched the fairy tale king’s life and his different wifes with curiosity. For the US, Mohammed Reza Pahlavi was an important ally because he offered access to Iran’s mineral oil deposits and a strategically important military base in the Near East.

(Inschrift im Archäologischen Nationalmuseum./ Inscription in the National Museum.)

Im eigenen Land jedoch stießen die internationalen Verbindungen Mohammed Reza Pahlavis und seine Modernisierungsversuche auf Widerstand. Man sah ihn als Spielball westlicher Mächte, als Marionette der USA, und den klerikalen Gruppen im Iran widerstrebten seine Sozialreformen, die er im Rahmen der „Weißen Revolution“ 1963 ankündigte: Sie sahen unter anderem die koedukative Erziehung von Jungen und Mädchen, mehr Rechte und das Verbot des Kopftuchs für Frauen, aber auch eine Umverteilung der Ländereien von Großgrundbesitzern auf Kleinbauern und eine „Armee des Wissens“ zur Verbesserung der Bildungsstandards als Teil des Wehrdienstes vor. Dieses Reformpaket bedrohte die Macht des Klerus, die sich auf große Ländereien und die Verbreitung der eigenen Lehren in den Schulen stützte, auf ideologischer und finanzieller Ebene.

In Iran, however, the shah’s international relations and his efforts to modernise his country were watched with suspicion. He was perceived as a plaything of the US, and Iran’s Clergy feared the social reforms he announced as the “White Revolution” in 1963: The reform programs regarded a redistribution of farmland, more rights for women and the ban of the headscarf, coeducational schools where boys and girls would be taught together, a “Literacy Corps“as part of the military service, and more. The new program threatened the clergy’s financial and ideological power which was based upon possession of land and upon teaching the Quran at school.

(Tiergefäße im Archäologischen Nationalmuseum./ Animal-shaped vessels (rhyta) in the National Museum.)

Mit der Ankündigung des Reformpakets von 1963 trat der Geistliche Ruholla Khomeni erstmals öffentlich in Opposition zum Schah; er wurde daraufhin des Landes verwiesen und ging in den Irak, später nach Frankreich ins Exil. Dort verfasste er in den kommenden Jahren seine grundlegenden Schriften mit dem Entwurf der „Herrschaft des Rechtsgelehrten“ als Staatsform. Im Iran funktionierte die Umverteilung der Ländereien durch den Schah nur partiell, und die Armut der Bevölkerung führte zu einer Landflucht, so dass Teheran innerhalb weniger Jahre von 2 auf über 4 Millionen Einwohner anwuchs.

When Mohammed Reza Pahlavi announced the introduction of the new laws in 1963, the clergyman Ruholla Khomeni entered the scene for the first time and went into opposition to the shah. He was then exiled and left to Iraq, later to France. There he developed his idea of the “Governance of the Jurist” and worked on political papers. Meanwhile in Iran, the redistribution of farmland in order to support the peasantry only partially worked out as planned, and poverty increased so that many people left the countryside and moved to the cities. Teheran grew from 2 to more than 4 million inhabitants within a few years only.

(Ein innenarchitektonisches Juwel: Das Glas- und Keramikmuseum im Abgineh-Palast. / Abgineh Palace with the stunning glass and ceramics museum.)

Ein Großteil der iranischen Wirtschaft war in der Hand weniger schahnaher Familien, die juristisch unantastbar waren, ebenso wie Tausende internationaler Experten im Land, mit denen der Schah sich umgab. Politische Gegner und Aufsässige wurden durch den berüchtigten Geheimdienst SAVAK ausgeschaltet. Die Unzufriedenheit der iranischen Bevölkerung wuchs, und Khomenis politische Pamphlete gegen den Schah gelangten aus seinem Exil auf illegalen Wegen ins Land, wo sie breite Zustimmung fanden. Ab 1977 spitzen sich die Ereignisse zu, es kam zu Protesten und Straßenschlachten; am sog. Schwarzen Freitag 1978 wurden laut Aussage der oppositionellen Gruppen Tausende Demonstranten bei Ausschreitungen getötet.

The biggest local businesses were owned by a small group of elite families close to the shah that were sacrosanct, just as several thousand international experts who lived in Iran. Political opponents were eliminated by the shah’s secret police SAVAK. Dissatisfaction among Iran’s people was growing, and Khomenis political texts were smuggled into the country and diffused. From 1977 on the situation intensified when thousands demonstrated against Mohammed Reza Pahlavi and fought with the police in the streets. According to the opposition, thousands of protesters were killed on the so-called Black Friday 1978.

(Einmal Millionär sein: 1€ entsprechen ca. 38.000 Rial./ Being a millionaire: 1€ is equal to 38000 Rial.)

Im Januar 1979 schließlich floh Schah Mohammed Reza Pahlavi außer Landes, und Ruholla Khomeni wurde aus seinem Exil geholt und als Führer einer neuen islamischen Republik eingesetzt. Diese sog. Islamische Revolution, oder auch Iranische Revolution oder 1979er Revolution, hatte also ein längeres Vorspiel, und auch danach befand sich das Land noch mehrere Jahre in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand, bevor sich die neue Staatsform etablieren konnte.

Mohammed Reza Pahlavi finally left the country in January 1979, Ruholla Khomeni was called back from exile and announced leader of a new Islamic republic. So there were many events predating this so-called Islamic Revolution, or Iranian Revolution, or 1979 Revolution, and even afterwards Iran was still in a state of crisis for several months and years before everything stabilised and the new constitution was widely accepted.

(Golestan-Palast./ Golestan Palace.)

Die Revolution war demnach kein punktuelles Ereignis, das eine Verfassung nahtlos durch eine andere ersetzte, und es ist irreführend, sie als islamisch zu bezeichnen: Denn am Sturz des Schahs und an der Beendigung der Monarchie waren große Teile der Bevölkerung, und vor allem verschiedenste politische und soziale, klerikale und nicht-klerikale, darunter auch marxistische und nicht-islamische Gruppierungen und Parteien interessiert. Problem war aber, dass viele dieser Gruppen keinen Gegenentwurf zur Monarchie hatten; sie wollten den Schah beseitigen, aber wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Insofern hatten zwar alle zunächst einmal ein gemeinsames Ziel, aber keine übereinstimmenden Pläne für die Zukunft des Landes.

The revolution was not a single event that replaced one constitution by another, and it is wrong to call it Islamic, because large parts of the population and many political and social, Islamic and non-Islamic, even Marxist groups were fighting together to overthrow the shah. The only problem was that most of these groups did not have any plan for what should come after; they wanted to end monarchy but did not have any political programme. So there was a goal that all had in common, but no general idea for the future of Iran.

(Prioritätensetzung: Das Islamische Museum ist – Überraschung! – sehr viel aufwändiger und teurer gestaltet als das Archäologische Nationalmuseum./ Way more modern and beautiful than the Archaeological Museum: The Islamic Museum.)

Khomeni war die Leitfigur der Revolution gewesen, aber er hatte vorgegeben, sich nach dem Umsturz wieder seinen theologischen Studien in der Stadt Qom widmen zu wollen. Auch hielt er sich zunächst bedeckt, was sein neues Konzept eines durch einen Rechtsgelehrten geführten Staates anging. Dennoch schaffte er es über die Jahre beharrlich, die unterschiedlichen Gruppierungen auf seine Seite zu bringen bzw. Oppositionelle auszuschalten. So wurde schließlich im Iran aus einer Konstitutionellen Monarchie eine Theokratie unter dem Namen „Islamische Republik Iran“. Und statt des Geheimdienstes des Schahs (SAVAK) agierte nun der VEVAK.

Khomeni had been the leader of the revolution, but he pretended planning to move back to Qom and continue his religious studies after the revolution. He also remained vague about his plans of the establishment of the “Governance of the Jurist”. Only step by step he convinced or eliminated the opponents of his new concept and managed to turn Iran from a constitutional monarchy into a theocracy under the name “Islamic Republic of Iran. The shah’s secret service SAVAK was replaced by the equally feared VEVAK.

(Anti-USA-Propaganda am Eingang der Touristenstätte Pazagardae./ Anti-USA propaganda right in front of the tourist site of Pazagardae.)

Heute prangt das Konterfei Khomenis an allen öffentlichen Plätzen und in jedem öffentlichen Gebäude, Hotel und Restaurant. In schickeren Lokalen ist es jedoch oft sehr dezent in die Innendekoration eingegliedert. Diese Bildpropaganda erinnert ein bisschen an die Türkei, wo der Staatsgründer Atatürk überall begegnet. Einmal wollte ich mir eine türkische Liramünze durchbohren lassen, um sie an einem Armband tragen zu können, woraufhin meine türkischen Arbeitskollegen entgeistert entgegneten, dass darauf hohe Gefängnisstrafen stünden: Schließlich durchbohre man mit der Münze auch das Gesicht Atatürks, was Hoheitsbeleidigung sei.

Khomeni’s face is nowadays to be seen in all public spaces, in every restaurant and hotel. Fancier bars rather hide it though by making it an discreet part of their interior decoration. This visual propaganda somehow reminds me of Turkey, where Atatürk’s serious face is to be seen everywhere. Once I wanted to turn a Turkish coin into a pendant for a bracelet, but my local colleagues warned me that this would carry prison sentence, because drilling through the coin means destroying Atatürk’s face.

(Neben der Nationalbibliothek in Prishtina (Kosovo) eines der hässlichsten Gebäude, die ich je gesehen habe: Das Teppichmuseum mit einem gewebten Napoleon (?). Sorry, Iran./ The carpet museum with a woven Napoleon (?). One of the ugliest buildings I have seen so far, besides the national library in Prishtina (Kosovo). Sorry, Iran.)

Die Amerikanische Botschaft in Teheran steht seit 1979 leer, als Studenten das Gebäude stürmten und 52 Geiseln nahmen, um die Auslieferung des Schahs zu erpressen, was freilich nicht gelang. Da die USA seit der Revolution neben Israel der erklärte Feind des Iran sind, hat die Botschaft keine Funktion mehr, ist allerdings mit allerlei bezeichnenden Graffiti besprüht, die zum Beispiel die Freiheitsstatue mit Totenschädel zeigen.

The American Embassy in Teheran is has been empty since 1979, when students entered the building and took 52 hostages in order to force the US to extradite the shah. They were not successful, but the embassy has not taken up work again ever since. Because the USA were, besides Israel, declared public enemy of Iran, the outer walls of the American Embassy carry many political graffiti, showing e.g. the Statue of Liberty with a scull.

(Buntes Glitzerland: Khomenis Mausoleum./ Shiny world: Khomeni’s mausoleum.)

Quellen / bibliography:

A.C. Hoffmann, Der Iran. Die verschleierte Hochkultur (München 2014)

P. Jafari, Der andere Iran. Geschichte und Kultur von 1900 bis zur Gegenwart (München 2010)

W.M. Weiss, Iran (Darmstadt 2015)

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