Im Dezember ist die Oxford Street in London noch voller als sonst, auch wenn das angesichts der Menschenmassen, sie sich ohnehin schon ganzjährig pulkweise hier durchschieben, kaum vorstellbar ist. Meine monatliche Flucht aus Cambridge entpuppte sich im Dezember als zermürbender Trip in eine surreale Glitzerwelt. Von besinnlicher Weihnachtszeit keine Spur: „Vorweihnachtsstress“ lautet die treffendste Beschreibung für die Adventszeit, die ich von allen Seiten hörte. Auch bei mir wollte sich keine richtige Weihnachtsstimmung einstellen. In der Londoner Innenstadt blinkten mir von allen Seiten grelle Leuchtreklamen entgegen, „kauf drei zum Preis von zwei“ und „jetzt Dein individuelles Fotogeschenk bestellen“. Aber ganz ehrlich: Was soll man mit drei 1kg-Tafeln Schokolade? Und wie individuell ist die Foto-Tasse, die hier an hunderte von Menschen verkauft wird, auch wenn mal „Bärchen“ und mal „Hans-Peter“ draufsteht? Jeder Gang durch die Stadt wurde zum Selbstverteidigungstraining, der Ellenbogen zur Waffe und mein anfangs fröhliches Lächeln zum aggressiven Zähnefletschen.
In December, London Oxford Street is even more crowded than the rest of the year, when it’s already packed with people. My monthly escape from Cambridge turned into an exhausting dive into a surreal world of glitter in December. It is hard to get in a mood for Christmas when everyone is hectically running from shop to shop. “Buy two, get the third one free” and “get your personalised mug” , I read. But what should I do with three XL chocolate bars, and how special is a mug that hundreds of people create from the same five optional designs?
German Christmas Markets
Wieder zurück in Cambridge, war für mich schon das Ende meines ersten Terms in England gekommen. Die Archäologie-Bibliothek, in der ich den größten Teil der Woche verbracht habe, sah von Tag zu Tag weniger Besucher. Ab Mitte Dezember, so drohte eine Email der Institutsleitung, müsse man mit empfindlicher Kälte im Gebäude rechnen, da das Heizungssystem heruntergefahren würde. Zeit, sich in die Heimat zu verabschieden. In München erwartete mich ein voller Terminplan: Durchschnittlich hatte ich jeden Tag zwei Veranstaltungen meiner Graduiertenschule zu besuchen. Doch nachdem ich in Cambridge wochenlang ausgiebig alleine vor mich hin gearbeitet und an meiner Dissertation gebastelt hatte, genoss ich sogar weitestgehend die Gruppen-Diskussionen, Workshops und Arbeitsgruppen-Treffen an der LMU München. Und immerhin blieb zwischendurch auch ein wenig Zeit für den Weihnachtsmarkt. Auch wenn es überall Kerzen, Schoko-Früchte, Wollsocken und Weihnachtsengel zu den gleichen überteuerten Preisen zu kaufen gibt und ich auch keinen Glühwein mag, ist der Weihnachtsmarktbesuch obligatorisch.
Back to Cambridge, the end of my first term in England was near. The heating in the Classics library would be turned down soon, an email informed me. Time to travel back home for Christmas. In Munich, I was confronted with daily meetings of my Graduate School, but after weeks of lonely reading and working in Cambridge, I was even happy to attend seminars and discuss work with my friends and colleagues from the LMU Munich. And of course, there was also time to visit the Munich Christmas markets. Even though all the stands sell the same candles, socks, sausages and Christmas decoration and even though I hate mulled wine (Glühwein), visiting the Christmas market is a must at least once a year.
Eine willkommene Ausnahme bildet das Münchner „Tollwood“, das eher eine Art Festival ist. Wo Münchner schon gelangweilt abwinken, bietet das Tollwood immerhin für „Zugezogne“ im Dezember eine nette Abwechslung. Dann ist die Theresienwiese, auf der im Herbst das Oktoberfest aufgebaut ist, überzogen von großen beleuchteten Zelten. Jedes Jahr steht das Festival im Zeichen eines ökologischen Schwerpunktthemas; letztes Jahr konnte man es sich zum Beispiel in einem riesigen Metall-Käfig gemütlich machen, um nachzuempfinden, wie es Legehennen in Käfighaltung geht. Ein Paradies für die allseits beliebten „Gutmenschen“ also. Ganz abgesehen davon finden aber auch Konzerte und Lesungen statt und sind der biologisch angebaute Drachentee aus Afrika und die orientalische Kräutermischung ohne Zusatzstoffe ganz leckere Mitbringsel.
The „Tollwood“ is a welcome alternative, although Munich people don’t find it really special anymore. It is a kind of festival with shops and little stages for concerts and readings that takes place on the Theresienwiese where the Oktoberfest takes place in autumn. Every year, the Tollwood festival has a certain ecological theme. Last year, for example, you could sit in a giant metal cage, imagining how hens feel in a laying battery. But visiting the Tollwood is not only for people who want to relieve their conscience: the organic oriental tea and the vegan chocolate bar also taste yummy and are nice little presents.
The Krampus – all children’s nightmare
Ein Novum war für mich der diesjährige Krampus-Lauf. Ein Krampus ist ein furchteinflößendes Wesen aus dem Gefolge des Heiligen Nikolaus. Während der Nikolaus die guten Kinder beschenkt, sollen die Krampusse (sofern das der korrekte Plural ist) am 6. Dezember die bösen Kinder bestrafen. Dieses Brauchtum existiert in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz; in München ist die ganze Schar (der „Pass“) aber erst am 14. Dezember durch die Stadt gezogen. Wie für Karneval, werden in Vereinen unterschiedliche Krampus-Kostüme und selbstgeschnitzte Holzmasken angefertigt, die dann in Gruppen präsentiert werden. Mit Peitschen und Ruten wird den Zuschauern gedroht, die sich vor Hieben in Acht nehmen müssen. Außerdem scheinen die männlichen Krampusse eine Vorliebe für junge Frauen zu haben, denen sie das Haar zerzausen können. In der Schweiz, das habe ich einmal gelesen, werden die Zuschauer mancherorts durch Zäune vor den wilden Wesen geschützt, denn die Krampus-Maske macht ihren Träger unkenntlich und bietet so eine völlige Anonymität, die schon so manchen Krampus zu aggressiven Kettenhieben auf sein Publikum verleitet hat. Ein Krampus-Lauf ist quasi das perfekte Aggressionsventil. Der Krampus sei auch in Österreich zu Hause, so kürzlich der Schauspieler Christoph Waltz scherzhaft in einem Interview, weil katholische Länder ihre Bevölkerung durch Traumatisierung unter Kontrolle hielten.
This winter was the first time for me to visit the Munich „Krampus-Lauf“, an alpine custom. A Krampus is a kind of demon and a companion of St Nicolaus; he punishes naughty children whereas St Nicolaus cares for the well-behaved children. Like for carnival, members of folklore societies create their own Krampus costume with a mask carved from wood. On the 14th of December, dozens of Krampusses paraded through the city centre of Munich, threatening people with their birches and whips. The male Krampusses apparently also like to ruffle young women’s hair. In some villages in Switzerland, the spectators are now protected from the Krampusses by a fence, because some people had used the anonymus Krampus mask to act out their aggressions without being recognized. In any case, these creatures are terrifying, and as the Austrian actor Christoph Waltz explained about Krampusses in Austria: “It’s a catholic country, it works through traumatisation.”
Last minute presents
Nach den Schrecken überfüllter Einkaufsmeilen und gruseliger Weihnachtswesen habe ich mich gestern zu Hause eingeigelt, um tonnenweise Schokoladen-Taler zu produzieren – ein schönes Geschenk, das sich schnell und einfach selbstmachen lässt: Verschiedene Sorten guter Schokolade kaufen und (bei Bedarf auch kombiniert) in verschiedenen Töpfen im Wasserbad schmelzen; die geschmolzene Schoki löffelweise als kleine Taler auf ausgebreitetes Backpapier setzen. Die Taler nach Belieben z.B. mit Rosinen, Walnüssen, Cashewkernen, Cranberries und Mandeln, für mehr Exotik mit Chiliflocken, Rosenblättern oder gesalzenen Erdnüssen garnieren. Erkalten lassen, vom Backpapier ablösen, schön verpacken et voilà! Ich persönlich lege gerne eine selbstkreierte Karte bei, z.B. beklebt mit silbern eingefärbten Ginko-Blättern, die ich dieses Jahr aus Cambridge importiert habe. Sieht auch mit allen anderen gepressten Blättern edel aus, die man mit Spray aus dem Bastelladen im Handumdrehen selber färben kann. „DIY“ (Do it yourself) heißt heute das, was früher jeder gemacht hat.
Tired from crowed shopping malls and terrifying Christmas creatures, I spent the last weekend at home, to produce tons of chocolate drops. Those are quick and easy to make and perfect last minute presents: Melt several types of chocolate separately (or mix different tastes) by using the double boiler method; use a spoon to place small amounts of the molten chocolate on baking paper. Decorate each chocolate drop with e.g. some raisins, almonds, cranberries, cashews or – for a more exotic taste – with small pieces of chili, rose petals or salted peanuts. Let the chocolate cool, detach the drops from the baking paper, wrap them in a nice paper or plastic wrap and there you have your beautiful little present. I usually add a selfmade Christmas card, with a silver coloured Ginko leave (imported from Cambridge) this year. This is what you could call “DIY” (Do it yourself) though the term just describes what everyone did before they could order everything from Amazon.
In diesem Sinne: Merry Christmas!
XII/2012!? ;-)
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Ja, manches ;)
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Ich bin heuer auch zum ersten Mal beim Krampuslauf gewesen. ;-) Das ist schon beeindruckend gewesen, vor allem hatte ich nicht mit solch einer Zahl an Teilnehmern – ca. 500 – gerechnet.
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