Reisen / Travel

Von Maschinenpistolen, Polizeiflirts und anderen tunesischen Erfahrungen

Fatmah führt uns zu einem Wohngebäude am Rande der Altstadt von Tunis. Durch einen leeren Türrahmen betreten wir ein winziges Räumchen mit abblätternder Wandfarbe. Ein Mann sitzt an einem Tisch und raucht, nichts in dem Raum oder außen am Gebäude deutet auf seine Funktion hin. Fatmah und er wechseln einige Sätze auf Arabisch. Er könne hier nichts für uns tun, erklärt er Fatmah; wir müssten zu einer anderen Polizeistation.

Fatmah guides us to a building on the edge of the historic city centre of Tunis. We enter a tiny room without doors and windows; a man is sitting inside, smoking. No badget or sign indicates his role. He discusses something with Fatmah in Arabic. It turns out that he cannot help us; we would have to go to another police station.

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Tunis.

„Ich kann nicht mehr mit euch kommen, aber ihr müsst diese Straße lang; ihr werdet es sofort erkennen.“ Fatmah schreibt uns noch ihre Handynummer und Emailadresse auf die Rückseite eines Kassenbons, dann ist sie in der nächsten Seitenstraße verschwunden. Tatsächlich erkennen wir die Polizeistation bei der Kasbah von Tunis sofort: Circa zehn Polizisten mit Maschinengewehren stehen beieinander, rauchen und scherzen. „Excusez-moi!“ Die Männer drehen sich zu uns um. „Ja, bitte?“, antwortet der Größte von ihnen; der Lauf seines Maschinengewehres zeigt dabei auf meine rechte Fußspitze. Ich trete einen Schritt zurück. „Mein Handy ist geklaut worden, in der Medina von Tunis.“

“I cannot come with you, but you will recognise it easily“, Fatmah explains. “You just have to follow this street.” She writes down her mobile phone number and mail address for us, before she heads off. And indeed the Kasbah police station is easy to spot: about ten armed policemen are hanging around outside, smoking and joking. “Excusez-moi!“ The men turn around. “Yes please?”, the biggest of them replies, while his machine pistol is pointing to my right feet. I take a step backwards. “My mobile phone was stolen in the medina of Tunis“, I say.

 

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Tunis.

Der Polizist spricht ein wenig Französisch und bittet uns ins Büro der Polizeistation. Es gibt weder irgendwelche Papiere noch Computer oder auch nur einen einzigen Kugelschreiber darin, nur zwei Schreibtische, auf denen ein Polizist seine zwei Maschinengewehre ablegt. Wieder zeigen Gewehrläufe auf uns. Unbeholfen dreht der Polizist die Maschinengewehre um, hängt sich eines an die linke, eines an die rechte Schulter, nur um sie wenige Minuten später wieder sehr umständlich umzupositionieren. Er wirkt nicht so, als könnte er wirklich mit den Waffen umgehen. Der große Mann, dem wir unser Anliegen auf Französisch geschildert haben, telefoniert auf Arabisch; in der anderen Hand hält er ein zweites Handy. Weitere Männer kommen in den Raum, jeder von ihnen mit einem Maschinengewehr über der Schulter. Sie laufen im Raum umher, mustern uns, rücken ihre Maschinengewehre zurecht.

The big police officer speaks little French, but he asks us to come in. There are no papers nor computers nor any single pen inside the office of the police station, just two desks on which one of the other policemen places his two machine pistols, their barrels pointing towards us. The policeman turns the arms around and hangs them over his right and left shoulder, before taking them off again to position them on the table. He does not seem very well prepared to handle such guns. The big police guy whom we had told our story is speaking on the phone in Arabic. In his right hand, he is holding another mobile phone. More men enter the room, each one of them equipped with at least one machine pistol. They walk around, stare at us, organize their rifles.

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Tunis.

Mir ist unbehaglich zumute. „Lass uns bitte draußen vor der Tür warten“, sage ich zu Zsuzsi. Sie nickt, und wir bedeuten dem Großen, dass wir rausgehen. Wieder folgen uns die Männer, stehen uns zu zehnt gegenüber, nesteln an ihren Maschinengewehren herum. Ich fühle mich in dieser Polizeistation nicht sicherer als in der Altstadt von Tunis, wo mir mein Handy beim Fotografieren aus der Hand geklaut wurde. Sicher war ich in diesem Moment nicht besonders aufmerksam, auch weil in den fast drei Monaten, die wir jetzt schon auf Reisen sind – davon einen Monat in Nordafrika – bisher nichts passiert war. So wird man vielleicht etwas nachlässig. Trotzdem ist unserer tunesischen Gastgeberin Sana dasselbe in Tunis passiert, als sie gerade eine Nachricht schrieb und ihr jemand das Handy aus der Hand schnappte.

I do not feel comfortable. “Let’s wait in front of the door”, I ask Zsuzsi. She agrees and we signal that we would wait outside. The policemen follow us, and again, we are surrounded by ten armed men. I do not feel safer here than I felt in the medina of Tunis where my mobile phone was stolen out of my hand while I was taking a photo. Certainly I could have paid more attention, but I simply did not expect something like this in that moment, also because nothing had ever happened during our so far three months-trip (of which we had already spent one month in Northern Africa). That is why I had maybe started to already feel too safe. The exact same thing happened, nonetheless, to our Tunisian host Sana: she was just writing a message, when someone grabbed her phone from her hand.

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Sousse, medina.

Noch schlimmer wahrscheinlich als der verlorene Sachwert meines Handies ist aber das ungute Bauchgefühl, das der Diebstahl bei mir hinterlässt. Ich fühle mich persönlich angegriffen, bin schockiert und wütend, dass jemand mir etwas, das ich mir von meinem erarbeiteten Geld gekauft habe, einfach wegnimmt. Im Grunde genommen glaube ich immer noch an das Gute im Menschen; Gegenbeispiele sind eine unangenehme Konfrontation mit der Realität. Eigentlich hätte ich meinen Bericht aus Tunesien gerne zumindest zum Ende noch eine positive Wendung gegeben, aber der Handydiebstahl pünktlich zu Weihnachten lässt das leider nicht zu. Nur hilfsbereite Menschen wie Fatmah, die sich spontan unserer annahm und uns zur Polizeistation begleitete, waren Lichtblicke. Der Diebstahl meines Handys war aber nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – mein anfänglich gar nicht so schlechter Eindruck von Tunesien war vor allem in der zweiten Woche durch menschenleere, heruntergekommene Medinas (s. die für diesen Beitrag ausgewählten Bilder), in Kombination mit einigen enttäuschenden archäologischen Stätten und ständigem Regen, schwer getrübt worden.

Maybe worse, however, than the actual loss of my phone is the uncomfortable feeling the theft left behind. I feel personally harmed; I am shocked and angry that someone takes something from me that I have bought from money I have earned with my work. After all, I still believe in the good sided of people; any counterexample is a harsh proof of reality. I would have like to end my report from Tunisia with at least some good points; the theft at Christmas day, however, does not make this possible. Only friendly people like Fatmah, the girl who spontaneously helped us by taking us to the “police station”, left some good impressions.  The theft, however, was only the last straw that broke the camel’s back: Even if my first impression from Tunisia had not been that bad, I became very disillusioned especially in the second week by empty and shabby medinas (see pictures chosen for this post), in combination with several quite disappointing archaeological sites and constant rain.

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Sousse, medina.

Nach dem dritten Telefonat auf Arabisch spricht der große Polizist endlich wieder zu uns. „Ihr müsst zu einer anderen Polizeistation“, erklärt er. „Nicht schon wieder“, denke ich. Glücklicherweise ist die für uns nun schon dritte Polizeistation nur auf der anderen Straßenseite. Es gibt dort echte Büros mit echten Computern. Ein elegant gekleideter Mann bittet mich in gepflegtem Französisch freundlich in eines der Büros. Gemeinsam mit seinem Kollegen nimmt er meine Daten auf. Zsuzsi wartet so lange mit unseren Sachen im Vorraum. Zwischendurch kommt eine Bettlerin herein; sie bekommt von den Polizisten Wasser aus einer Flasche angeboten, bevor sie wieder weggeschickt wird.

After his third phone call in Arabic, the big policeman finally talks to us again: “You have to go to another police station.” I am tired of hopping from one police station to the next; luckily, the other station is just on the other side of the street, and there are real offices with real computers in it. An elegantly dressed man welcomes us and, together with his colleague, record my personal data, while Zsuzsi is waiting outside. An old beggar woman enters the police station and is given some water, before she is forced to leave again.

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Sousse, medina.

„Name des Vaters?“ – „Hans-Martin“; „Name des Großvaters?“ – „Klaus“; „Beruf?“ – „Archäologin.“ Die beiden Polizisten schauen sich an: „Archaeologue? Archaeologist?“, versuche ich es auf Englisch. „Archaeology“ – ich mache eine schaufelnde Bewegung. Sie nicken, tippen meinen Beruf in den Computer ein. „Und was heißt das genau?“, wollen sie dann wissen. „Antike Geschichte, Ausgrabungen; Griechen, Römer, Punier“, erkläre ich. „Alte Sachen“. Jetzt haben sie verstanden. Ich zeige auch meine Visitenkarte vom Deutschen Archäologischen Institut – vielleicht hilft ja mein Doktortitel dem Arbeitsfortschritt? Tatsächlich ist der elegante Polizist interessiert, und wir kommen ins Gespräch; er ist sehr charmant, fragt sogar nach meinen Tattoos. „Morgen früh können Sie das fertige gestempelte Dokument hier abholen“, sagt er schließlich freudestrahlend. Er winkt noch einmal zum Abschied.

”Father’s name?“ – “Hans-Martin”; “Grandfather’s name?” – ”Klaus”; “Profession?” – ”Archaeologist”. The two officers look at each other. “Archaeologue? Archaeologist?“, I’m trying it in English. „Archaeology“ – I imitate digging a hole. They nod and enter the information into the computer. “And what does this mean exactly?”, they want to know. “Ancient history, excavations; Greeks, Roman, Phoenicians”, I explain. “Ancient stuff”. Now they understand; I also hand over my business card of the German Archaeological Institute, hoping that my doctoral degree will help to speed up the process. And indeed, the elegantly-dressed policeman is very interested; he turns out to be very charming, and he even asks about my tattoos. “Tomorrow morning you can pick up the stamped document”, he smiles. He waves when we leave.

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Sousse, medina.

Als Zsuzsi und ich am nächsten Morgen mit unserem tunesischen Freund und Fahrer Iyed (auch Jakob genannt) wiederkommen, um das Papier für meine Versicherung abzuholen, würdigt mich der am Vortag so galante Polizist keines Blicks. Ohne Männerbegleitung waren wir interessanter. Das Dokument ist auch nicht fertig, wie angekündigt, stattdessen müssen alle meine Daten nochmals eingegeben werden; heute fragt aber niemand nach dem Namen meines Großvaters. Weil Iyed jemanden in der Polizeistation kennt und das Ganze auf Arabisch regelt, geht es trotzdem sehr viel schneller als am Vortag. Wir bekommen eine Version des Dokuments für meine Versicherung auf Arabisch, eine auf Französisch.

The next morning, Zsuzsi and I come back with our Tunisian driver and friend Iyed (also called Jakob) to pick up the document for my insurance. The charming officer from yesterday is not charming anymore, as we are not alone anymore. Girls alone apparently deserve more attention. The document is not ready either and all information has to be typed in again, but since Iyed has a friend in the police station, things go much quicker than yesterday, and no one cares about my granddad’s name anymore. I receive an Arabic and a French version of the document.

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Tunis.

Als ich das Dokument flüchtig überfliege, kann ich meinen Namen nicht entdecken. „Da steht er doch“, antwortet Iyed wie selbstverständlich: Poli Hunsch Homan. Mit sehr viel Fantasie erkenne ich darin Polly Lohmann; Hunsch, erklärt mir Iyed, sei der Name meines Vaters: Polly, Tochter von Hans, Lohmann. Ich begreife. Nur, dass meine Versicherung das so nicht begreifen wird. Wir gehen gemeinsam zurück, und ich bitte den Polizeibeamten, das Dokument zu korrigieren und meinen Namen korrekt von meinem Führerschein abzutippen, anstatt eine Umschrift aus dem Arabischen wiederzugeben. Gerne hätte ich das auf „Poli Hunsch Homan“ ausgestellte Papier für mein privates Kuriositätenkabinett behalten, aber ich muss es leider zurückgeben. Schmunzeln muss ich trotzdem immer noch darüber. Nach Bolli und Poppy habe ich in Nordafrika also noch einen weiteren neuen Namen bekommen.

Looking at the document for a quick check, I cannot find my name in it. “There it is”, Iyed points to three words: Poli Hunsch Homan. I recognize Polly Lohmann in it; “Hunsch” is the name of my dad, Iyed explains to me: Polly, daughter of Hans, Lohmann. I begin to understand. Just that my insurance would not understand anything. We go back together, and I ask the policeman to type in my name correctly, according to my ID and not as a phonetic transcription from Arabic. I would have loved to keep the copy for “Poli Hunsch Homan” for my personal archives, but I had to hand it back. I still have to laugh about this story though: after Bolli and Poppy that is the third name I was attributed with in Northern Africa.

6 Kommentare

  1. Liebe Polly,

    na Du erlebst ja Sachen!! Das mit dem Handy tut mir leid und ich kann Deine Empfindungen nachvollziehen. Diesen Beitrag hast Du wieder so toll geschrieben dass ich mir denke dass Du auch sehr gut anspruchsvolle Krimis schreiben könntest.

    Weiterhin einen gute und positive Erlebnissreise ohne unangenehme Zwischenfälle und auf diesem Weg auch die besten Wünsche für das neue Jahr.

    Küsschens

    Uwe

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  2. Tunesien war, was Erfahrungen mit Zoll und Polizei angeht, auch für uns damals so ziemlich das unangenehmste auf unserem Reisestipendium! Meiner Kollegin wollten sie sogar den Führerschein einziehen, wel sie jemandem die Vorfahrt genommen hatte.
    Viel Glück auch im neuen Jahr!
    Martin

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  3. Ich habe deinen Blog gerade entdeckt und finde ihn hochinteressant. Nur schade, dass ihr auf eurer Reise von Frankreich nach Tunesien Algerien „übersprungen“ habt. Wie kam es dazu?

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    1. Das freut mich, danke! Wir hätten gerne auch Algerien bereist, leider sind die Grenzen (sowohl zu Marokko als auch zu Tunesien) auf dem Landweg für Reisende aber geschlossen – wir hatten also keine andere Möglichkeit, als nur darüber zu fliegen.

      Gefällt 1 Person

      1. Man hätte ein Visum für Algerien beantragen, mit dem Fluzeug von Marokko nach Algerien einreisen, Algerien mitsamt seinem selbst der algerischen Allgemeinheit kaum bekannten reichen archäologischen Erbe durchqueren und die algerisch-tunesische Grenze (dort herrscht seit einigen Jahrten ein reger Verkehr) per Mietwagen (oder in eurem Fall eher -Transporter) überwinden können.
        Vielleicht klappt es ja ein anderes Mal mit der Algerientour!

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