„Sehr geehrte Damen und Herren,
in dem geplanten Buch über das Thema XY (Verlag XY, Auflagenhöhe: xxx), das Ende diesen Jahres erscheinen soll, würden wir gerne das Objekt B52 der Heidelberger Antikensammlung abbilden. Könnten Sie uns eine hochauflösende Abbildung des Stücks zukommen lassen?“
So oder ähnlich sehen die Anfragen aus, die ich seit Beginn meines Stellenantritts als Kuratorin regelmäßig bekomme. Blöd nur, wenn ich nicht weiß, was das Objekt B52 ist und wo genau es sich befindet. Was ich, zusammen mit der Sammlung, „geerbt“ habe, ist ein Schrank voller Karteikarten, analog und aus Pappe: Eine Karteikarte pro Objekt, sortiert nach Inventarnummer. Dort kann ich nach der Karte zu Objekt B52 suchen; im Idealfall ist ein kleines Bildchen von dem Objekt aufgeklebt und Angaben zu seiner Herkunft, Datierung und Publikation handschriftlich eingetragen. Das ist ein gängiges Dokumentationssystem, nach dem viele Sammlungen noch funktionieren, weil die Digitalisierung langsam voranschreitet, zumal in Institutionen, in denen – wenn überhaupt – eine Personen allein alles von der Sammlungsverwaltung über Veranstaltungsorganisation bis hin zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit macht (von ihrer eigenen Forschung und Lehre ganz zu schweigen).
***
„Dear Ladies and Gentlemen,
we are currently preparing a book on topic XY (publisher XY) which is going to be published by the end of the year. We would like to refer to the object inv. no. B52 from your collection in the book – would you be able to provide us with a high resolution image?“
This is the kind of request I frequently receive, and have received from day one of the new job as a curator. But what to do if you don’t know what kind of object no. B52 is and where it is stored? Together with the collection, I have „inherited“ a card index: a cabinet containing thousands of cards, sorted by inventory numbers. There I can search the index card of object B52. If I am lucky, the card features a small photograph of the requested object, and handwritten information such as dating, provenance and references to publications. This is a common record system in collections and museums, since digitizing (photographing, gathering data, importing them into a database) is a tedious process – especially in institutions, where one person (if at all) alone is responsible for the administration, event management and public relations of the collection (besides their research and teaching).
Karteikarte // Index card.
Im schlechtesten Falle fehlen auf der Karteikarte sämtliche Infos, weil wir nicht wissen, um was es sich genau handelt, wo es herkommt und wie es datiert. Publiziert sind solche Objekte sowieso nicht, und zu vielen davon gibt es nicht einmal eine Karteikarte, weil sie nie inventarisiert wurden, also auch keine Nummer tragen – und das, obwohl die meisten von ihnen vermutlich bereits seit rund 100 Jahren Bestandteil unserer Sammlung sind, denn der größte Teil des Bestands, so kann man aus lückenhafter Überlieferung schließen, wurde unter Friedrich von Duhn angeschafft, Professor an unserem Institut und damit Direktor der Sammlung zwischen 1880 und 1920. Ihm werden wir noch öfter begegnen.
In the worst case, no information is given on the card because we do not know anything about the piece, or there is no index card at all. Such objects have not been published and inventorised either, even though most of the must have been part of our collection for already around 100 years. We know this from fragentary archival material which tells us that the largest number of objects apparently has been bought for our collection during the time of Friedrich von Duhn, who was the director of our institute and its collection between 1880 and 1920. This is not the last time you will have read about him on this blog.
Einblicke. // Insights.
Inzwischen weiß ich, dass nur zu etwas mehr als der Hälfte der Stücke überhaupt eine Karteikarte existiert und rund ein Drittel unserer Sammlung publiziert ist. Letztes Jahr hatte ich dieses Wissen noch nicht – und habe deshalb eine groß angelegte Bestandsaufnahme begonnen: zu meinem Einstand habe ich mit 18 Studierenden und meinen Hiwis drei Tage lange alle Schubladen und Schränke im Magazin geöffnet und alles darin Befindliche mit Inventarnummer (falls vorhanden), Standort, Ansprache, Material, Technik und rudimentärer Beschreibung in einer Excel-Tabelle erfasst. Das ist Schritt eins in Richtung einer öffentlich zugänglichen Datenbank, in der man unsere Objekte und Informationen dazu finden kann.
Now I know that there are index cards of only some 50% of the objects in our collection, and that roughly one third has been published. Last year, I did not possess that knowledge yet – so I organised a comprehensive inventory in the very first month of the job. 18 students helped digitally recording inventory number, object class, material, technique of about 5000 objects, and wrote a first short description of them. This Excel file is the first step towards the open-access online-database HeidICON of Heidelberg University.
Einblicke. // Insights.
Das Ganze habe ich „Hands on – Sammlung zum Anfassen“ genannt, weil das Sammlungsmagazin lange Zeit so etwas wie ein geheimer Ort war, den der normale Studierende unseres Instituts nicht zu sehen bekam. Die Bestandsaufnahme war die Gelegenheit für alle, die Lust hatten, einmal überall rumzuschnüffeln. Für mich war sie die Chance, mir irgendwie einen Überblick über die Massen an Objekten zu verschaffen, die meinen Arbeitsalltag bilden, und den Studierenden gleichzeitig zu vermitteln, dass Sammlungs- und Museumsarbeit eben nicht nur bedeutet, spannenden Ausstellungen zu konzipieren, sondern auch viel im Hintergrund zu verwalten, zu dokumentieren und mühselig digital zu erfassen. Rund 5000 Objekte haben wir in den drei Tagen geschafft, ein tolles Ergebnis. Leistungspunkte gab es für die Fleißarbeit auch.
We spend three whole days with what I called „hands on – handling objects“, because the depository had long been kept as a kind of secret space which only very few students got to access. The inventory was a great occasion for all those curious enough to open all cabinets and drawers. For me it offered the possibility to start getting an overview of everything I am supposed to manage – and a chance to show the students of our field that being a curator does not mean permanently designing exciting exhibitions all the time, but a lot of laborious documenting and systematising behind the scenes.
Einblicke. // Insights.
Die restlichen 3000 Objekte habe ich den Rest des Jahres mit meinen Hilfskräften portionsweise weiter erfasst. 8279 Stücke war der Stand zu Jahresende, aber ein paar kleinere Konvolute von Objekten fehlen immer noch. Und natürlich hat unsere Exceltabelle viele Stunden Nachbearbeitung erfordert: Erweiterungen, Vereinheitlichungen und Korrekturen. Aber: ich kann jetzt bei jeder E-Mail-Anfrage per Mausklick suchen, wo das angefragte Objekt bei uns aufbewahrt ist, ob es eine Karteikarte, eine Publikation und möglicherweise sogar schon ein digitales Foto davon gibt. Auch sämtliche sonstigen modernen Beschriftungen haben wir bei der Bestandsaufnahme erfasst, denn sie sind in manchen Fällen die einzige Information, die wir haben, z. B. „1900 in Athen erworben“. Viele Objekte tragen neben der Inventarnummer unserer Sammlung noch weitere, ältere Nummern, von denen wir nicht genau wissen, woher und aus welche Phase der jeweiligen Objektbiografie sie stammen. Ich habe die Hoffnung, dass diese anderen Nummern und Beschriftungen in manchen Fällen Aufschluss geben können, welche Objekte z. B. in Gruppen zu uns kamen, vielleicht sogar, woher, wenn wir sie digital systematisch analysieren können. Wahrscheinlich bin ich in dieser Hinsicht einfach eine zu große Idealistin, aber man kann nie wissen.
The rest of the year – in between teaching, giving lectures, organising wine receptions and public events -, I spent recording the remaining 3000+ objects together with my student assistants, step by step. By the end of last year, 8279 objects had been recorded in total; and there are still some missing. Polishing our Excel file required a lot of time, too, for completing, standardising and correcting information. The result, however, is worth all this effort, because I now can digitally search any object requested and immediately see where in the depository it is kept, if we possess an index card, if it has already been digitally photographed or even published. We also recorded all modern inscriptions and labels on the objects, since they in some cases are the only information we have, like e.g. „bought in Athens in 1900“. Many objects carry several numbers and modern writings besides the inventory numbers of our collections. These might refer to earlier phases of the objects‘ biography such as the first recording during their excavation, or their being part of other collections. I hope that they can help us, once digitally analysed in detail, to understand better which objects were found and/or sold together and entered our collection as groups. Maybe I am too much an idealist in this respect, but you never know.
Einblicke. // Insights.
Ich habe Glück, dass mein Vorgänger nicht nur die Sammlung aus 25 Jahren Arbeit wie seine Westentasche kennt, sondern seit seiner Pensionierung immer noch häufig im Haus ist und mir bei Fragen gerne zur Seite steht. Anfangs haben wir uns einmal wöchentlich getroffen und er hat mir Verschiedenes wie Schließ- und Schlüsselsysteme der Räume, Inventarnummern und Ordnung der Sammlung, das hiesige Procedere bei Leihvorgängen und Transporten, unseren kleinen Sammlungsshop u.v.m. erklärt. Oft habe ich dabei so gut es ging mitgeschrieben, um die Menge an Informationen überhaupt erfassen zu können. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen in anderen Sammlungen hatten dieses Glück nicht, weil z.B. ihre Stelle zuvor unbesetzt war, der Vorgänger nicht mehr vor Ort oder verstorben war.
I am lucky that my predecessor perfectly knows the collection from his 25 years of work there, and is happy to share his knowledge. Many of my colleagues curating other university collections did not have the chance to even meet their predecessors. In my case, we had weekly meetings in the beginning, and I was eagerly writing down everything he told me in order to not forget any of the many things: the locking systems of the rooms, the inventory numbering system, our loan transactions, etc.
Momentan steht die Museumslandschaft, und auch die universitäre Sammlungslandschaft, vor einem Umbruch: Dem Wechsel von analog zu digital, nicht nur bei der Objekterfassung und Bereitstellung von Informationen in Datenbanken, auch bei der musealen Vermittlung und Inszenierung von Inhalten in interaktiven Formaten, mit Touchpads und Screens, per App, in Computersimulationen und virtual reality. Das Besucherverhalten hat sich verändert, die Lesebereitschaft, die Erwartungen an einen Museumsbesuch und das Interesse für die Archäologie, und die Geistes- und Kulturwissenschaften im Allgemeinen. Hier müssen neue Wege gedacht werden, ohne alle Prinzipien über Bord zu werden. „Früher war alles besser?“ Nö, das wäre zu einfach.
The museum sector is changing a lot at the moment, and so are university collections. Everything is being digitised (whatever digitisation means, is worth another blog entry): objects and information are provided online, interactive exhibition features are developed, be it locally installed touch screens, mobile apps or large scale virtual spaces. The audience, their expectations from a museum and interest in archaeology, and the humanities in general, have changed too. Did things used to be better? Maybe, but that is no excuse to keep questioning ourselves, our habits and solutions.
Was für eine spannende, arbeitsintensive und zukunftsträchtige Tätigkeit!!!
Es ist toll, dass auch der tüchtige Vorgänger und „Beiseitestehender“ dankbar erwähnt wird.
LikeLike