Archäologie / Archaeology Reisen / Travel

Im Sammeltaxi entlang der tunesischen Küste

Nach den ersten paar Tagen Couchsurfen sind wir innerhalb von Tunis in eine AirBnB-Unterkunft zu einem anderen jungen Pärchen, diesmal im Stadtteil Bardo, umgezogen: Sana und Zak sind Gutverdiener, sprechen perfektes American English und bewohnen ein modern eingerichtetes Haus, das ebenso in Europa oder den USA stehen könnte. Hatten für unsere vorherigen Gastgeber Statussymbole eine große Rolle gespielt – dass sie es zu Geld gebracht haben, durften wir u. a. in ihrem Hochzeitsvideo bewundern –, leben Sana und Zak ganz selbstverständlich und unprätentiös ein Leben nach westlichen Standards.

After the first couple of days couchsurfing in Tunis at Rym’s and Semi’s place, we changed to the AirBnB accommodation of another young couple, this time in the quarter Bardo: Sana and Zak are high earners, speak perfect American English and live in a beautifully modern house that would equally fit anywhere in Europe, the US or Canada. Whereas our first hosts had been very keen to show off their wealth – we admired their wedding party on a video -, Sana and Zak are very natural and unpretentious about their western lifestyle.

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Unterwegs im Louage (Sammeltaxi). // Louage (grand taxi) travels.

Da für unsere zweite Woche in Tunesien einige größere Touren anstanden, wollten wir aus Zeitgründen die Fahrräder bei unseren Gastgebern Sana und Zak stehenlassen und haben uns zunächst zwei Tage lang den Luxus geleistet, einen Freund der beiden als Fahrer anzuheuern. Iyed, der gerne Jakob genannt werden möchte, spricht etwas Französisch und Englisch; hauptsächlich haben wir uns in einem lustigen Mix aus allem verständigt, inklusive Zsuzsis rudimentärer Kenntnisse des ägyptischen Arabisch. Jakob ist ein angenehm langsamer Fahrer und hat uns Vieles erleichtert, vor allem die Diskussionen über die Eintrittspreise als Archäologinnen. Und siehe da, kaum hatten wir unsere Fahrräder zurückgelassen, schwenkte das Wetter um in eine wechselhafte Mischung aus Regen, Sturm und Sonnenschein.

Since we had planned some bigger tours for our second week in Tunisia, we left our bikes at Sana’s and Zak’s place and payed a friend of them as a driver for two days. Iyed, who likes to be called Jakob, is a fun guy who speaks some English and French, so we communicated in a funny mix of everything, including Zsuzsi’s Egyptian Arabic vocabulary. Jakob is a comfortably slow driver and made many things easier, including discussions on entrance fees as archaeologists. Just when we had decided to leave our bikes back, the weather changed to an unpredictable mixture of sun, clouds, and rain.

Grillgut unterwegs am Straßenstand mit Fotosession am Grill. // Grilled meat from a street stand along the way and some photo posing.

Das Cap Bon ist eine der fruchtbarsten Gegenden und schönsten Naturräume Tunesiens; dort werden Orangen und Wein angebaut. An seinen rauen Küsten befinden sich die römischen Steinbrüche bei El Haouaira, die im 3. Jahrhundert v. Chr. von den Römern zerstörte punische Stadt Kerkouane mit vielen privaten Badeanlagen sowie römische Gebäudeanlagen und eine beeindruckende Festung aus dem 16. Jh. auf römischen Grundmauern  in Kelibia (Clipea).

Cap Bon is one of the most fertile and beautiful regions of Tunisia, where oranges and wine are cultivated. On its rough coasts, the stone quarries of El Haouaira are situated, the Punic city of Kerkouane with its many private bathtubs, destroyed by the Romans in the 3rd century BC, and several Roman building complexes and a fortress from the 16th century (going back to Roman times) at Kelibia (Clipea).

Nach zwei Tagen im Regen und Sturm von Cap Bon haben Zsuzsi und ich dann Tunis endgültig verlassen, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln – d. h. den Louages – entlang der Küste weiter gen Süden zu reisen. Diese Sammeltaxis funktionieren ähnlich gut wie die Dolmuşe in der Türkei: sie verbinden selbst die kleinsten Orte miteinander, sind preisgünstig und bieten Platz für sieben bis neun Personen. Sie fahren los, sobald alle Sitze besetzt sind, man sollte also etwas Geduld mitbringen – im Notfall kann man aber, wenn man es eilig hat, die leeren Sitze einfach mitbezahlen.

After two stormy, rainy days at Cap Bon, Zsuzsi and I left Tunis for real and travelled south by Louage, the Tunisian grand taxis. The Louage system functions just like the dolmuşes in Turkey: they connect even tiny villages, are very economic and offer between seven and nine places. They depart as soon as all seats are taken, so you have to be patient, but if you are in a hurry, you can just pay for the empty seats.

Kälte und punische Badewannen am Cap Bon. // Freezing and trying out Punic bathtubs at Cap Bon.

Nabeul, Hammamet und Sousse sind Küstenstädte, die als schön und zumindest ehemals recht touristisch galten. Seit dem arabischen Frühling und den terroristischen Anschlägen im Bardo Museum und in Sousse 2015 sind die Touristenzahlen in Tunesien aber deutlich gesunken, und in den Wintermonaten sind die Küstenorte trist und ihre Hotels ausgestorben. In Nabeul, das auf mich wie eine etwas heruntergekommene Version spanischer Touristenstädte an der Costa Brava wirkt, haben wir uns im „Hotel Les Pyramides“ mit Blick auf den winterlichen Swimmingpool und das wolkenverhangene Meer eingemietet; gegenüber dem benachbarten Hotelklotz „Cheops“ wirkte unser Hotel fast noch klein und charmant. Fast. Dafür besitzt Nabeul (Neapolis) ein possierliches Museum mit schönen Funden und Erläuterungen zur Produktion von Garum, der römischen Fischsauce, die nicht nur in Südspanien und Marokko, sondern auch im Gebiet des heutigen Tunesien (römische Provinz Africa) eine zentrale Rolle für die Wirtschaft der Region spielte. Eine Garumanlage kann man außerhalb von Nabeul, auf der Straße nach Hammamet, auch besichtigen.

Nabeul, Hammamet and Sousse are coastal towns which are supposed to be beautiful and used to be quite touristy. After the Arab Spring and the terrorist attacks in the Bardo museum and in Sousse in 2015, tourism has, however, declined in Tunisia, and in winter, the coastal towns are rather depressing, and their hotels depopulated. Nabeul seemed like a shabby version of the touristic cities along the Spanish Costa Brava to me. We stayed in the “Hotel Les Pyramides” with a view on a winterly swimming pool and a cloudy sky over the sea. In contast to the neighbouring “Hotel Cheops”, our hotel appeared almost charming. Almost. Nabeul (Neapolis) has a very nice archaeological museum with good explanations of garum production (a Roman fish sauce) which had not only been an important industry in the South of present-day Spain and in Morocco, but also in Tunisia (the Roman province Africa). A garum factory has been excavated and can be visited west of Nabeul, on the road to Hammamet.

Das Ausgrabungsgelände der römischen Stadt von Pupput/Hammamet war etwas ernüchternd: Ein rostiges Schild am Eingang ist die einzige schriftliche Information, die man vor Ort über das Gelände bekommt; die großen Bade- und Wohnkomplexe sind von starkem Pflanzenbewuchs bedroht, Inschriftenmonumente lieblos aufgereiht Wind und Wetter ausgesetzt.

The Roman city Pupput/Hammamet was rather disenchanting: A rusty sign is the only written information you get on site; baths, residential building complexes and single mosaics are scattered in the area overgrown with weeds and exposed to the rain.

Sousse dagegen kann mit einem modern ausgestatteten Museum mit beeindruckenden Funden –auch hier, wie in Tunis, sehr viele großformatige römische Mosaiken – aufwarten. Die angeblich so schöne Medina von Sousse, die UNESCO-Weltkulturerbe ist, entpuppte sich dagegen als trostloses Gassengewirr, in dem nur manchmal nett bemalte Fensterläden und blaue Türen die Ästhetik des Ortes aufzuwerten versuchen. Vielleicht war es der Kontrast zu Marokko und seinen lebhaften, farbigen Altstädten, der die tunesischen Medinas für mich so enttäuschend machte, aber ich hatte wirklich mehr erwartet, und das Wetter tat das Seinige, um die heruntergekommenen Gassen noch grauer wirken zu lassen.

The archaeological museum in Sousse, in contrast, is very impressive, with a modern interior and beautiful objects, among which – like in the Musée Bardo in Tunis – many large-scale mosaics. The medina of Sousse which has been nominated UNESCO world heritage site was, however, very disappointing to me, with bleak and empty little streets and only some painted window frames and doors to cheer us up. Maybe it was because we had been to Morocco before with its vibrant streetlife and colourful medinas, but non of the old cities we visited in Tunisia was really beautiful to my understanding.

Ähnlich erging es mir in der wirklich winzigen Medina von Mahdia, an deren Spitze, auf einer Halbinsel, sich auch der ehemalige punische Hafen befindet, der heute von einem islamischen Friedhof umgeben ist. Nachts heulte der Wind so laut um unser Hotel, dass der Versuch, passend zu der gruseligen Atmosphäre einen Tatort zu schauen, an der Akustik scheiterte. Am nächsten Morgen war vor unserem Frühstückscafé ein großer Menschenauflauf und wir mussten erfahren, dass die Leiche eines sechzehnjährigen Mädchens im Meer gefunden worden war. Von unserem Frühstückscafé aus konnten wir das Geschehen beobachten; als sich die Versammlung wieder aufgelöst hatte, betraten die zuständigen Polizeikommissare das Café – nicht jedoch etwa, um nach getaner Arbeit einen Kaffee zu trinken, sondern um ausgiebig die Küche des Lokals zu inspizieren. Warum, das wollte uns der Cafébetreiber jedoch nicht verraten…

I was similarly disappointed by the tiny medina of Mahdia, situated on a small peninsula whose end used to be the Punic harbor of the town but is nowadays embedded within an Islamic cemetery. At night, the wind was howling that loud that we even failed to watch “Tatort”, the Germans’ favourite weekly crime series which would have matched the atmosphere very well. The next morning we learned that the dead body of a 16 year old girl had been found in the sea; people gathered to watch the policemen working. We watched everything from the safe distance of a nearby café; when the crowd had disappeared again, the officers entered our café, not to have a coffee after work but to inspect the kitchen instead. The owener of the café did not want, however, to tell us why…

Von Mahdia aus kehrten wir wieder zurück nach Sousse und verbrachten einen weiteren Abend in unserem Stammlokal „Le Bonheur“, das als willkommene Abwechslung Makkaroni unter den „typisch tunesischen“ Gerichten aufführt und in dem wir unser eigenes Séparée im ersten Stock, abseits der rauchenden Männergruppen im Erdgeschoss, mit WLan, Steckdosen und eigener Toilette hatten. Was will man mehr, um ausgiebig und in Ruhe zu essen und zu surfen? In den Folgetagen machten wir, wieder per Louage, Tagesausflüge nach El Djem und Makthar.

From Mahdia, we travelled back to Sousse by Louage and passed one more evening internet surfing and eating in our favourite restaurant ”Le Bonheur” where we had our own séparée upstairs, away from the groups of smoking men downstairs, and with plugs, wifi, and a separate bathroom. The restaurant also lists delicious maccaroni with chicken as a typical Tunisian dish. What else do you need for a quiet and undisturbed evening? The following two days we made day trips from Sousse to El Djem and Makthar, again by Louage.

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„Typisch tunesische“ Makkaroni. // „Typical Tunisian“ maccaroni.

El Djem besitzt ein beeindruckendes Amphitheater, das besterhaltene Nordafrikas, in dem angeblich Teile des Films „Gladiator“ gedreht wurden – das sagen zumindest die Tunesier und Wikipedia; die Filmproduzenten selbst führen weder El Djem noch Tunesien überhaupt unter ihren Drehorten auf. Für Touristen ist das aber sicher eine nette Anekdote, auch wenn es sich um eine „urban legend“ handelt. Für die Graffitiforscherin gab es viele historische Graffiti von späteren Besuchern und/oder Bewohnern des Amphitheaters – darunter interessanterweise viele Krummsäbel und Schwerter –, denn es diente bis ins 19. Jahrhundert verschiedentlich als Wohnstätte und Behausung für Läden und Werkstätten.

The Roman amphitheatre of El Djem is pretty famous, and it is the best preserved in Northern Africa. Parts of the film “Gladiator” are said to have been staged here, according to Tunisians, and to Wikipedia. The film producers list neither El Djem nor Tunisia in general as film locations, but even if it is an urban legend, it is a nice story for tourists. For me as a graffiti scholar, there were plenty of interesting historical graffiti – among which, interestingly, many swords and scimitars – by later visitors or occupants of the building: El Djem’s amphitheatre served as a place to live, for shops and factories until the 19th century.

In Makhtar, das weiter im Inland liegt, in Richtung der Grenzregionen zu Algerien, die man aus Sicherheitsgründen nicht bereisen sollte, waren wir die einzigen Tourist(inn)en und bekamen unseren eigenen Aufpasser auf dem weitläufigen Ausgrabungsgelände der römischen Stadt Mactaris. Für den Rückweg sorgte die Polizei dafür, dass wir auch ja das richtige von den drei vor Ort zur Auswahl stehenden Sammeltaxis zurück nach Sousse nahmen.

Makthar lies further inland and closer to the border regions of Algeria which tourists should not travel to. The trip took three hours by Louage and we were the only tourists there with a personal guard following us while visiting the enormous area of the Roman city Mactaris. For the way back, two policemen made sure we chose the right one out of three Louages to go back to Sousse.

Außer dem Museum von Sousse und den zahlreichen archäologischen Befunden in Makhtar und El Djem war diese zweite Tunesienwoche weiter im Süden hauptsächlich von schlechtem Wetter und trostlosen modernen Städten geprägt. Als bei Rückkehr nach Tunis auch noch mein Handy in der dortigen Medina gestohlen wurde, war für mich das Maß gestrichen voll. Glücklicherweise haben unsere Gastgeber Sana und Zak, bei denen wir noch die letzten zwei Nächte bis zur Abreise verbrachten, uns mit ihrer Herzlichkeit und Gastfreundschaft wieder aufgemuntert. Sie führten uns am Weihnachtsabend in das schicke „Le Triplex“ zu Essen und Bier (!) aus und überreichten uns sogar Weihnachtsgeschenke: Drei Boxen selbstgemachten tunesischen Gepäcks für unsere Weiterreise nach Rom über Silvester.

Besides the museum of Sousse and the rich archaeological remains at Makthar and El Djem, the second week in Tunisia and our trip south were mainly influenced by the bad weather and disillusioning medinas. When, upon arrival back to Tunis, my mobile phone was stolen, I finally had enough of this country. Luckily, our lovely hosts Sana and Zak, to whose place we returned for the last two nights, managed to make us smile again; they took us out to the fancy “Le Triplex” for dinner and beers (!) at Christmas Eve, and even offered us Christmas presents: three boxes of delicious Tunisian sweets for each one of us to take to our next destination, Rome, over New Year’s Eve.

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Weihnachtsgeschenk unserer liebenswürdigen Gastgeber. // Christmas present by our lovely hosts.

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